Sonntag, 3. Februar 2013

Swinging St. Pauli - Konservatorium Wien


Erhard Pauer hat mit den Studenten der Abteilung Musikalisches Unterhaltungstheater wieder einmal Großartiges vollbracht. Musical in Bestform, das im Kleinen so besonders ist, dass es viel „Großes“ einfach so wegpusten kann. „Swinging St. Pauli“, das „kleine“ deutsche Musical (UA: 2001 am Hamburger Tivoli Theater) ans Konservatorium zu holen war – wieder einmal – eine neue und gute Idee.
Erwartet habe ich mir weit mehr Swing, doch dass darauf gar nicht der Fokus liegt, wurde mir bald klar. Hier geht es um etwas Anderes: Um Widerstand, der zwar im Kleinen seinen Ausdruck findet, aber eigentlich der Aufstand gegen das nationalsozialistische Regime ist. Die Bühne des Leonie-Rysanek-Saals (Bühnenbild: Timo Verse) wurde umfunktioniert und die Zuschauer konnten von zwei Seiten in das Geschehen eintauchen. Kleine Bartische gaben das Gefühl direkt vor Ort zu sein – mitten drinnen in „Leo’s Bar“, mitten drinnen in unser aller Vergangenheit. Da erlebt man Adrien Papritz und Rafael Weissengruber als Nazis, die einen das Schrecken lehren und die ihre Rollen so glaubhaft und eindringlich spielen, dass mir das Blut in den Adern gefror und die Vorstellung, dass es „damals“ wirklich so zugegangen sein muss, mir den Atem nahm. An Papritz Darstellung als Obersturmbandführer könnte sogar Quentin Tarantino Gefallen finden, so „gut“ böse spielt er seine Rolle. Das sind die Schlimmsten – jene „Bösen“, die oberflächlich auf gerecht und menschlich machen und ihre Eiseskälte erst nach und nach herauslassen, um dann in einer Grausamkeit zu enden, die kein Pardon kennt. Adrien Papritz gelang es diese Balance diffizil herauszuarbeiten und das gesamte Stück hindurch aufrecht zu halten – eine meisterhafte Leistung. Ihm zur Seite stand Rafael Weissengruber, der einen „offensichtlicheren“ Nazi spielte. Auch wenn er noch an der Ausführung seiner „Watschen“ feilen könnte – zumindest am Premierenabend verliefen die noch nicht so glatt – so löste er das Gefühl aus, dass man ihm lieber nicht auf der Straße begegnen würde. Seine Rolle als Arnold Stenzel bekam durch seine Performance ein gewaltiges Maß an Unberechenbarkeit und das flößt Angst ein.

Ebenso schauspielerisch brillant zeigte sich Judith von Orelli als Emma Löwenstein. Ihr „Mein Lied für dich“ hat tief berührt und auch sonst spielt sie ergreifend ehrlich. Hier ist – auch im Zusammenspiel mit Steven Klopp  als „Love Interest“ Max Waldeck – nichts zu süßlich (wie z.B. auf der CD Aufnahme des Original Hamburg Cast), sondern alles erdig und authentisch. Dem kommt allerdings die Nummer „Du bist da“ nicht entgegen. Ein Schnulzsong der Sonderklasse, den ich zusammen mit „Leben ohne sie“ zum Wohle des Stückes gestrichen hätte bzw. gar nicht darin aufgenommen hätte, auch wenn sie einzeln angehört ganz nett klingen. Hier kann man sich vorstellen, warum es Menschen gibt, die das Genre Musical als „seicht“ und „schnulzig“ abtun. „Leben ohne sie“ beginnt mit einem in epischer Breite gesungenen „Sag wie kannst du so einfach gehen, wie soll ich das hier je verstehen, dieser Albtraum wird nie vergehen“, das bei mir leichten Würgereiz erzeugt hat. Das Lied nimmt dann an Fahrt auf, aber eigentlich braucht es das Musical nicht – auch wenn Marcel-Philip Kraml überzeugend um seine verstorbene Geliebte trauert. Doch nach dieser grausamen Ermordung ist Oskar Leonhardts Motto „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ vielleicht doch das Bessere: Ein paar wenige Worte und Tränen hätten gereicht.

Jil Clesse und Kraml geben ein charmantes Paar, auch wenn von Beginn an nicht unbedingt gleich ersichtlich ist, dass die beiden „zusammengehören“. Entzückend schüchtern spielen Lawrence Karla und Marja Hennicke das aufblühende Liebespaar Heinrich Koch und Beate Stenzel. Überhaupt ist die Inszenierung von „Swinging St. Pauli“ am Kons eine überaus gelungene Ensemble-Leistung. Das Zusammenspiel gelingt so reibungslos, dass der Bogen der Geschichte sich wunderbar entfalten kann und jeder Einzelne – auch in den kleinen Rollen – hat die Möglichkeit sich einzubringen. Ganz besonders sticht da auch Glenna Weber hervor, die in den Tanznummern von innen heraus strahlt, dass es besonders Freude macht, ihr zuzusehen.
Michael Souschek als Oskar Leonhardt ist das verbindende Element, das die Geschichte zusammenhält. Er spielt mit Pathos und überzeugt – auch wenn er je offensichtlicher es wird, dass der Barbesitzer schwul ist, dies immer exzessiver in seinem Spiel betont und in seine Gestik aufnimmt – irgendwie etwas verwirrend. Souschek thront als Widerstandskämpfer des Untergrunds über den Szenen und spielt seine Rolle bis zum Schluss äußerst einnehmend.

Die Tanzszenen– der Swing – sind mitreißend und von Christoph Riedl spritzig choreografiert. Was für eine beeindruckende Leistung des gesamten Ensembles – vor allem auf diesem wenigen Platz. Hut ab!
Die Inszenierung selbst bietet einige clevere Kniffe – so wird Paul Schmidt zu Paula (genial: Ruth Hausensteiner), was dem Musical einen weiteren Kick gibt und durch die Rolle von David Rodriguez Yanez, der die Szenen beobachtet und sich dabei immer wieder Notizen macht, wird dem Publikum genügend Raum für Interpretation gelassen. Das Stück endet mit „Zoom“ auf das Buch. Überhaupt ist alles sehr filmisch inszeniert. „Pace“ und Details sind gut abgestimmt und machen es dem Publikum leicht in die Story einzusteigen. Fallen Schüsse ist man ebenso erschrocken und betroffen wie die Charaktere. Gleichzeitig kann man aber auch Distanz bewahren – das Musical „swingt“ zwischen den Schatten der Vergangenheit „wie im Film“ und einem „tatsächlichen“ Erleben hin und her. Genau das macht die Inszenierung von Erhard Pauer noch spannender für die Zuschauer.

Musikalisch hat „Swinging St. Pauli“ einiges zu bieten. Zwischen Swing und Schnulzballaden ist viel dabei, z.B. ein "Erklär mir die Frauen"-Cha Cha Cha und - besonders mitreißend - die Ensemble-Nummer „Nur noch kurze Zeit“.
„Swinging St. Pauli“ ist eine weitere gelungene Produktion der Konservatorium Wien Privatuniversität. Eine, die in Erinnerung bleibt und Vorfreude auf die Operettenproduktion der Abteilung (Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“) Ende Mai macht.

LINKS:

- Konsical. Homepage der Abteilung Musikalisches Unterhaltungstheater
- Fotos zur Inszenierung

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