Musical Unplugged ist ein kleiner Fixpunkt im musicalischen
Wien (und Umgebung) geworden. Eine Veranstaltung, für die ich gerne ins Umland
von Wien pendle, um dort zu erleben, was sonst nicht viel Raum bekommt: Männerstimmen des Musicals in vereinter Kraft mit einem bunten Mix aus Kirchengesang,
Evergreens, Musicalklassikern und -raritäten.
Dass die Titelauswahl von Mal zu Mal zwar größtenteils
gleich ausschaut, liegt wahrscheinlich daran, dass es schwer ist, mit acht Darstellern und einem
Pianisten, die jeweils andere Engagements haben, genügend Probenzeit zu
finden, um etwas Neues einzustudieren. Doch eigentlich stört mich das gar
nicht so, denn die Auswahl ist gut getroffen. Es sind Songs, die immer gefallen und
durch die „Auffrischung“ der individuellen Parts der Sänger wird alles zu einem
sehr runden Programm. Ein weiterer Punkt ist die Familiarität, die dadurch
entsteht. In Gießhübl herrschte am Montag Wohnzimmer-Atmosphäre. Die Bühne
nicht sehr erhöht, fast auf einer Ebene mit dem Publikum, schöne Lichtstimmungen
(Licht & Ton: Erwin Singer, Bernhard Singer und Thomas Koloszar) und wenig
Verstärkung schafften es, eine Nähe herzustellen, die gemeinsam mit der
angenehmen Wärme im Saal wirklich etwas Heimeliges hatte.
Das Besondere an Musical Unplugged ist die Schlichtheit des
Programms. Eine Nummer fügt sich an die nächste, dazwischen keine Moderation,
kein unnötiges „Tamtam“. Es entsteht ein Klangbogen, der einen gleich am Anfang
packt und bis zum Ende des Aktes nicht mehr loslässt. Die für das „eingeschworene“
Musical Unplugged-Publikum „vertrauten“ Songs bilden das Gerüst, in dem sich
die Solopartien einfügen und diesmal auch – das „Special“ – die Songs der Acappella Formation „Rock4“(Luc Devens, Lucas Blommers, Björn Sterzenbach und Luc Nelissen).
Luc Devens, der Leadsänger wurde von mir schon oft über den grünen Klee gelobt, aber was soll ich
anderes schreiben. Dieser Sänger ist nicht von dieser Welt. Um es genau zu
sagen, es gibt keine Worte für eine Stimme wie diese. Hören ist alles –
begreifen kann man es dann zwar auch nicht, aber zumindest kann man sich
einreden, dass es wahr ist, was man hier gerade gehört hat. Die Rock4-Songs –
Queen-Klassiker, Pink Floyds „Another Brick in the Wall“ und „Heaven on Their
Minds“ schlugen ein. Die vier Sänger treffen den musikalischen Nagel auf den
Kopf – nein, das ergibt keinen Sinn, aber es fühlt sich so an. Was diese vier
Männerstimmen zusammen erzeugen ist unfassbar schön. Ich musste die Augen
schließen, um jeden Ton auszukosten, um diesen entstehenden Sound-Teppich voll
und ganz in mich aufzusaugen.
Was darf bei Musical Unplugged nicht fehlen? Genau, die
legendären Duette von Florian Schützenhofer und Jakob Semotan. Wie die
Kirchenlieder – die immer schön klingen, und obwohl deren Vortrag vielleicht
aus gegensätzlicher Intention heraus entsteht, immer zu ihrem Ursprung
zurückkehren – sind diese Duette wichtige Konstanten des Gesamtkonzeptes, die
man einfach nicht missen möchte. Interessant war diesmal zu sehen, wie das
erste Duett das Gefühl gab, die „Beziehung“ der beiden befände sich in einer
anderen Phase. Dies verlieh dem Konzept dahinter einen ganz neuen Blickwinkel
und macht diese parodistische Episode noch viel spannender. Duett Nr. 2 passte
sich wieder der „alten“ Mentalität an – ein interessanter Schachzug, wenn man
das so nennen kann.
Am ersten Abend des Musical Unplugged/Rock4-Specials sangen
mit Unterstützung des Pianisten Florian C. Reithner – ein Virtuose, der in
seiner eigenen Klasse spielt, Organisator Florian Schützenhofer, Rock4 und die
Solisten Christof Messner, Jakob Semotan und Peter Neustifter. Messner und
Semotan haben beide die Gabe sofort in ihren Song, den Charakter einzusteigen.
Jedes Mal beeindruckt mich diese Unbefangenheit, die sie den Rollen
entgegenbringen, und der Mut, sich in den Songs fallen zu lassen. Einfach so.
Mit anscheinend wenig Aufwand. Doch mit unglaublich viel Pathos und Esprit. Ein
Fingerschnips und schon sind sie drinnen, bis zum Ende des Songs – voll und
ganz. Mit ihrer Stimme, ihrem Gefühl und ihrem Körper. Alles spricht den Song.
Messner schafft es „Dies ist die Stunde“ so zu singen, als hörte ich den Song zum
ersten Mal – er erzählte ihn neu und aus sich heraus. Mit seinem Jamie
Cullum/Glee-Mashup von „Singing in the Rain“ und Rihannas „Umbrella“, bei dem er
sich selbst am Klavier begleite, zeigte er eine ganz andere Seite von sich –
das war nicht nur sehr schön, sondern auch mutig. Semotan sang „I Dreamed A
Dream“ und schaffte es bei „Anytime“ (aus
dem Songzyklus Infinite Joy) so sehr in den Song einzusteigen, dass er sich
selbst darin verloren hat – tja, und da sind mit dann sogar Tränen gekommen…
Besonders gefreut habe ich mich auch auf „Lost in the
Wilderness“ (Children of Eden) – einer, der für mich schönsten Musicalsongs. Es
ist ein Song, der viel abverlangt.
Der Darsteller muss über den Rand des Charakters hinausgehen und sich – komme
was wolle – in den Song stürzen. Anders hat „Lost in the Wilderness“ kaum
Chancen sich in seiner vollen Pracht zu entfalten. Genau hier hat Neustifter
noch ein paar Schwierigkeiten. Es ist bei ihm keine Frage seiner Stimme – es
ist alles da -, doch (noch) eine Frage des Fallenlassens. Der Song braucht
einen Sprung ins kalte Wasser. Er braucht die Bereitschaft sich in Tiefen
vorzuwagen, die man vielleicht selbst noch nicht kennt. Ich kann mir
vorstellen, dass das Angst macht – sicher sogar, denn man verliert die
Kontrolle. Dieses „Risiko“ muss man eingehen. Neustifter steht hier aber nicht
alleine da, an diesem Song haben sich schon einige die Zähne ausgebissen (so auch
Mark Seibert auf seiner neuen CD „Withou You“). Doch dass Neustifter auf einem
guten Weg ist, hat man bei „Ordinary Days“ gesehen – da ist noch viel möglich. Sein zweiter Song („Stern“ aus Les
Misérables) kam ihm eher entgegen – schön.
Florian Schützenhofer wagte sich ebenfalls an eine
Solonummer. „Wie kann ich sie lieben“ aus Die Schöne und das Biest ist eine
Herausforderung, die Schützenhofer mit ein paar Anfangsschwierigkeiten bravourös gemeistert hat.
Zu Beginn hat er scheinbar versucht die Situation zu überspielen, doch als es
ihm gelungen ist, sich dem Song hinzugeben, konnte dieser sich wunderbar
entfalten. Da entsteht dann alles, was
entstehen soll und das Innenleben des Charakters kann nach außen
getragen werden. Das ist das Beste, was passieren kann. Ein schöner Moment.
Musical Unplugged überzeugt auch durch seine
Ungezwungenheit. Nichts drängt sich auf und die entstehende Atmosphäre
ermöglicht es dem Publikum sich die Songs individuell zu Eigen zu machen, jeder
wie er möchte, jeder auf seine Weise. „Amazing Grace“ als Zugabe, war die
Krönung eines wunderschönen, musicalischen Abends – von acht Männerstimmen
gesungen, ein Hörgenuss. Gefolgt von einem humorigen Abschluss durch das „Rebecca“-Duett „Mrs. de
Winter bin ich“ von Christof Messner und Jakob Semotan samt „Orchideen“.
Stargast der Veranstaltung war übrigens auch Sumsi, die
sparfreudige Biene.
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