Sonntag, 29. Juli 2012

A Chorus Line - Stockerau

"A Chorus Line" ist ein würdiges Ende der Musicalära in Stockerau. Es ist eines DER Musicals und deswegen gerade passend. Es erfordert Höchstleistung der Darsteller, denn es ist mehr als ein "Tanzmusical". Mit einer Handgeste wird es manchmal in die Ecke der Dancemusicals geschickt, dabei unterscheidet es sich vor allem durch die Schauspielkomponente von den anderen. Nicht umsonst hat Chorus Line einen Pulitzer Preis für das beste Drama bekommen - hier geht es eigentlich nur zweitrangig um das Tanzen, der Mittelpunkt sind die Menschen hinter der Fassade des Chorus.

Wenn es also um Menschen geht heißt das, dass man sich der Natürlichkeit in der Darstellung verpflichten sollte, eigentlich muss. Man muss einen Teil von sich selbst öffnen, denn als Darsteller in dieser Show ist man bis zu einem gewissen Grad immer auch selbst betroffen. Man sollte seine eigene Verletzlichkeit mit der Verletzlichkeit des Charakters zusammenbringen, dann gelingt das Stück in all seinen Nuancen. Dazu braucht es ein starkes Ensemble mit Tänzern, die mindestens ebenso gut schauspielen können wie tanzen...und das ist selten und deswegen stellt sich die Frage, ob denn Schauspieler, die gut tanzen können nicht die bessere Wahl wären - wenn man zur Wahl gezwungen wird, weil das "Angebot" fehlt.

In Stockerau hat man einen bunten Nationen-Mix zusammengestellt, der "echten" Chorus Line nahekommend. Das ist definitv ein Pluspunkt, bis zu den Sequenzen, wo das Publikum nicht mehr weiterkann, weil es einfach nichts versteht. Und daran ist nicht die mittelmäßige Akustik Schuld, sondern die Undeutlichkeit der Aussprache. Auch wenn ein Akzent da ist, das Publikum muss immer verstehen. Versteht es nicht, kann es nicht in die Geschichte einsteigen, es bleibt Beobachter und abgegrenzt von den Menschen auf der Bühne (da hilft gutes Aussehen auch nicht mehr weiter). Schlechte Schauspielleistung ist wieder ein anderer Faktor, der Ähnliches hervorruft. Gelingt es den Darstellern nicht, ehrlich zu spielen, dann geht die Verbindung zu den Zuschauern verloren und "A Chorus Line" tanzt an einem vorbei. Nichts mehr bleibt vom berührenden Seelenstriptease, den die Charaktere der Reihe nach vollziehen, übrig nur ein bisschen beeindruckendes Getanze und der penetrante "One"-Ohrwurm - zusammenfassend: ein Tanzmusical, das man getrost in die Ecke zu den anderen schieben kann.

"A Chorus Line" in Stockerau ist gemischtes Pflaster. Da gibt es Szenen, die fesseln, aber auch Szenen, die vorbeiziehen ohne dass man irgendwie damit in Verbindung getreten ist. Schuld daran meistens, ja, die mangelnde Schauspielleistung. Da weiß man wieder warum das Schausspiel im Musical oft belächelt wird. Leider.
Nehmen wir zum Beispiel Nina Tatzber. "Nothing" hat in sofern seinen Zweck erfüllt, dass auch ich nothing gespürt habe. Es war einfach nichts da. Eigentlich sollte Wut spürbar sein, innere Leere, Kränkung, etc. - je nach dem wie man es auslegen möchte, aber irgendetwas muss transportiert werden. Dazu kam dann auch noch stimmliche Eintönigkeit, die bei einem Song, der sowieso schon wenig Variation zulässt, noch mehr weh tut. Das rollende "r" in der letzten Passage als Rettungsanker, um die puertorikanische Diana nicht ganz zu verlieren, wirkte einfallslos und unpassend - wenn Akzent, dann durchgehend. Vielleicht war einfach zu wenig Probenzeit, um an alledem zu arbeiten, kann sein, aber leider geht mit dieser Performance ein wichtiger Teil des Stücks den Bach hinunter.

Wer sich seine Rolle gut erarbeitet hat ist u.a. Peter Knauder als Paul. Zunächst denkt man sich noch "äh?" - merkt man aber wie sehr man plötzlich in seine Geschichte hineingezogen wurde, plötzlich "ah!". Wenn man spürt, dass da eine Verbindung zwischen einem selbst und dem Charakter auf der Bühne entstanden ist, weiß man worum es in Chorus Line geht. Da sind Menschen auf der Bühne, die es lieben zu tanzen. Sie tanzen für ihr eigenes Leben und um ihr eigenes Leben, um es in die Chorus Line zu schaffen. Jeder hat seine Geschichte und zum ersten Mal bekommen sie Raum diese auch zu erzählen. Es gibt jemanden, den es interessiert, wer sie wirklich sind.
"A Chorus Line" spricht damit auch irgendwie ein Paradoxon des Theaters an. Auch wenn es immer um das Mensch-sein geht, so manch "Theatermensch" versteckt sich oft hinter Oberflächlichkeiten, bevor er etwas von sich selbst preisgibt.

Choreograph/Regisseur Zach (Alfons Haider) geht allerdings ungewohnte Wege, indem er die Tänzer bittet, etwas Persönliches von sich mit ihm zu teilen - und auch wenn es viele nicht in die achtköpfige Chorus Line schaffen, diese wenigen Stunden haben einige weitergebracht. Haider humpelte verletzungsbedingt mit Krücken über die Bühne und in den Gängen des Zuschauerraums; ab und zu schmerzverzerrt, aber nur wenn der Spot ihn gerade nicht getroffen hat. Er hat sich tapfer geschlagen! Sonst spielt er den Zach sehr human, außer wenn es um seine Verflossene Cassie geht, dann kann er auch einmal anders und man möchte ihm am liebsten an die Gurgel springen.

Sabrina Harper als Cassie ist ideal besetzt. Sie hat Ausstrahlung, sie kann schauspielen und tanzt so einnehmend, dass man bei ihrem Solo kein Auge von ihr lassen kann. Schade, dass nicht sie die Hauptstimme in "What I did for Love" gesungen hat - diese Freiheit hätte man sich vielleicht herausnehmen können.

Hervorzuheben sind auch Martin Niedermair und Morten Daugaard. Beide beeindrucken in ihren - wenn auch kleineren - Rollen und zeigen wie man gekonnt eine Beziehung zum Publikum herstellt. Aber auch Bettina Mönch und Ines Hengl-Pirker enttäuschen nicht. Sophia Gorgi überzeugt, wie auch schon in "Leben ohne Chris", mit ihrer angenehmen Stimme und starken Ausdruckskraft!

Regie führte Original Cast Member Mitzi Hamilton. Bemerkenswert wie lange schon auf der Bühne agiert wird und das Publikum einfach immer noch nicht begriffen hat, dass da etwas passiert. Dafür klatscht es immer wieder fleißig, auch ab und zu unpassend, Szenenapplaus. Ein ganz besonderer Moment entsteht, wenn Tänzer Paul sich verletzt und ins Krankenhaus muss. Die anderen bleiben betroffen zurück. Alle schweigen. Hamilton hat hier genau das richtige Maß getroffen - als Zuschauer hat man hier die Möglichkeit nur zu spüren und genau in diesem Moment merkt man, was gelungenes Schauspiel vermag, auch ohne Worte.

Kurz nach Pausenende meinte dann eine Dame hinter mir: "Gleich wird es fetziger!" - tja, eigentlich nicht so sehr, aber darum geht es in Chorus Line nicht. Bis auf "One" erzählt das Stück vor sich hin, einmal mehr und einmal weniger griffig - da kommt es nun mal wirklich darauf an, was die Darsteller auf der Bühne transportieren können. Alles in allem hat Stockerau dieses Jahr eine gute Produktion zu bieten, interessant wäre es sicher auch die Zweitbesetzungen zu erleben, wie z.B. Timo Verse als Paul. Eine kurze Reise ist es auf jeden Fall wert!

"A Chorus Line" ist noch bis 18. August, jeweils Di-Sa um 20h, in Stockerau zu sehen. Tickets und andere Informationen findet man HIER.

*Image: Ilse Lahofer via
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