Der Frage, ob man überhaupt Vorpremieren rezensieren darf
oder nicht, möchte ich mich hier nicht stellen. Doch da die Vorpremiere von „Sweeney
Todd“ an der Volksoper im freien Verkauf
war, also dem „Normalpublikum“ zugänglich, und ich meine Gedanken zu dieser
Inszenierung auch zugänglich machen möchte, habe ich beschlossen, ein paar
Worte darüber zu verlieren.
Grundsätzlich ist der Volksoper ein Lob auszusprechen, dass
sie sich endlich Stephen Sondheim annimmt und dann auch noch den „dämonischen“ Barbier
auf den Spielplan setzt. Mutig finde ich das durchaus und meine: Nur weiter so!
Mit Matthias Davids wurde auch ein Regisseur gefunden, der etwas auf dem Kasten
hat – wie man zuletzt in Linz bei der grandiosen Inszenierung von „Die Hexen
von Eastwick“ sehen konnte. So und jetzt kommen wir auch schon zur Besetzung,
dem eigentlichen Problem, das sich bereits im Vorfeld abgezeichnet hat und sich
für mich letztlich auch bei der Vorpremiere bestätigt hat…Ja, es ist verständlich bei fünf Musicalproduktionen in der gesamten Saison (beachtlich!) muss man als großes Theater- bzw. Opernhaus auf das Budget achten. Leider muss man anscheinend da ansetzen, wo man – meiner Meinung nach – auf keinen Fall ansetzen dürfte. Um nicht zu überziehen besetzt man aus den eigenen Reihen. Dann denkt man sich, dass man Sondheim und vor allem „Sweeney Todd“ mit Opernsängern besetzen kann, weil es ja perfekt passt. Aber nein. Es passt eben nicht perfekt. In der September-Ausgabe der „Bühne“ ein Zitat des Direktors Robert Meyer:
„In der Regel werden Musicals mit musikalisch begabten
Darstellern besetzt, die auch singen können. Aber hier hört sich der Spaß auf!
In diesem Fall wäre dies tollkühn. Hier trifft man – in dem Genre selten! – mit
Opernsänger die richtige Wahl.“
Nein. Eben nicht. Und warum? Allererstens weil - und das
kann man zwar nicht auf alle, aber doch auf einen Großteil anwenden – Opernsänger
nicht schauspielen können, oder sagen wir es so, mit ihrem Schauspiel oft nur
an der Oberfläche kratzen und nicht aus sich heraus spielen. „Sweeney Todd“ ist
eines der Musicals, das in erster Linie gute Schauspieler braucht, um seine
Genialität zu entfalten; natürlich mit der Voraussetzung Sondheims komplexe
Partitur auch singen zu können. Zugegeben, die Volksoper macht in dieser
Besetzungsriege nicht viele Fehler, aber die wenigen sind fatal. Anita Götz als
Johanna und Alexander Pinderak als Anthony Hope sind ihren Rollen nicht
gewachsen. Sie wirken alt, langweilig, oberflächlich. Götz‘ Johanna ist eine
blonde Tussi, die nicht viel im Hirn hat und an deren Schicksal und Zukunft ich
als Zuschauer kein Interesse hatte. Sie war mir egal. Ebenso Anthony Hope.
Pinderaks „Johanna“ ist ganz gut gesungen, aber leider ist da nicht viel
dahinter. Gerne denke ich an Stefan Bischoffs Solo am Stadttheater Klagenfurt
zurück oder auch an die West End-Inszenierung bei der Luke Brady die Herzen des
Publikums angerührt hat. Götz und Pinderaks Rollengestaltungen bleiben jedoch so
an der Oberfläche, das sie nicht ergreifen. Sie erreichen mich nicht und dadurch
geht viel verloren. Es sind ja nicht irgendwelche Nebenrollen, im Gegenteil.
Doch auch Patricia Nessy, die vom Musical kommt, enttäuscht als Bettlerin. Auch
hier springt nichts über, zu einstudiert klingen die wirren Rufe und schnellen
Stimmungsschwankungen. Morten Frank Larsen – auch er von der Oper – spielt
Sweeney Todd annehmend und ist der Rolle durchaus gewachsen. Hier stellt sich
jedoch eine andere Frage, die aber wahrscheinlich auf die Regie zurückzuführen
ist – Todd entwickelt sich nicht. Gerade die Kurve, die der Protagonist in
diesem Stück zu spielen hat, ist das Spannende. Verbittert kommt Todd aus
seiner Verbannung zurück nach London und langsam beginnt hier der Racheplan zu
entstehen, bis er dann in einem überbordenden, unkontrollierten Akt endet. Doch
es ist eine Entwicklung, ein innerer Kampf, den Todd hier durchmacht. Larsen
beginnt jedoch bereits mit einer sehr offenen Wut, was zur Folge hat, dass die
Entwicklung keinen Platz mehr hat, weil deren „Ziel“ schon viel zu Nahe ist. Trotzdem
macht er seine Sache größtenteils gut.
Dagmar Hellberg und Tom Schimon sind die eigentlichen Highlights.
Auch Robert Meyer überzeugt als Richter Turpin – er kommt vom Schauspiel und
das ist sein großer Vorteil. Schimon spielt und singt Tobias so wie es sein
soll und Hellberg liegt die Mrs. Lovett sowieso. Es ist schon fast ihre
Paraderolle und der Anker dieser Inszenierung. Sie definiert Musical bzw.
Musiktheater eben als „Schauspiel, bei dem man ‚zufällig‘ singt“ (Musicals. Das
Muscialmagazin. August/September 2013, S. 45). Das ist der entscheidende
Unterschied.
Die österreichische Presse überschlägt sich fast mit
Lobeshymnen – selten wenn es ums Musical geht. Ja, es ist ein tolles Stück. Von
vorne bis hinten. Die „Sweeney Todd“-Inszenierung an der Volksoper bleibt doch
hinter meinen Erwartungen zurück – gerade weil einige Charaktere so viel mehr
hergeben würden, als hier gezeigt. Es ist schade zuzusehen, wie wichtige Teile
des Stücks verloren gehen, weil die Schauspielleistung einfach nicht ausreicht
oder gar vollkommen fehlt. Pluspunkte für den Spezialeffekt „Blut-aus-Kehlen-spritzen“, das
Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau und das grandiose Orchester der
Volksoper unter der Leitung von Joseph R. Olefirowicz gibt es aber auch.
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