Mittwoch, 18. September 2013

Vorpremiere: Sweeney Todd - Volksoper


Der Frage, ob man überhaupt Vorpremieren rezensieren darf oder nicht, möchte ich mich hier nicht stellen. Doch da die Vorpremiere von „Sweeney Todd  an der Volksoper im freien Verkauf war, also dem „Normalpublikum“ zugänglich, und ich meine Gedanken zu dieser Inszenierung auch zugänglich machen möchte, habe ich beschlossen, ein paar Worte darüber zu verlieren.
Grundsätzlich ist der Volksoper ein Lob auszusprechen, dass sie sich endlich Stephen Sondheim annimmt und dann auch noch den „dämonischen“ Barbier auf den Spielplan setzt. Mutig finde ich das durchaus und meine: Nur weiter so! Mit Matthias Davids wurde auch ein Regisseur gefunden, der etwas auf dem Kasten hat – wie man zuletzt in Linz bei der grandiosen Inszenierung von „Die Hexen von Eastwick“ sehen konnte. So und jetzt kommen wir auch schon zur Besetzung, dem eigentlichen Problem, das sich bereits im Vorfeld abgezeichnet hat und sich für mich letztlich auch bei der Vorpremiere bestätigt hat…

Ja, es ist verständlich bei fünf Musicalproduktionen in der gesamten Saison (beachtlich!) muss man als großes Theater- bzw. Opernhaus auf das Budget achten. Leider muss man anscheinend da ansetzen, wo man – meiner Meinung nach – auf keinen Fall ansetzen dürfte. Um nicht zu überziehen besetzt man aus den eigenen Reihen. Dann denkt man sich, dass man Sondheim und vor allem „Sweeney Todd“ mit Opernsängern besetzen kann, weil es ja perfekt passt. Aber nein. Es passt eben nicht perfekt. In der September-Ausgabe der „Bühne“ ein Zitat des Direktors Robert Meyer:

„In der Regel werden Musicals mit musikalisch begabten Darstellern besetzt, die auch singen können. Aber hier hört sich der Spaß auf! In diesem Fall wäre dies tollkühn. Hier trifft man – in dem Genre selten! – mit Opernsänger die richtige Wahl.“
Nein. Eben nicht. Und warum? Allererstens weil - und das kann man zwar nicht auf alle, aber doch auf einen Großteil anwenden – Opernsänger nicht schauspielen können, oder sagen wir es so, mit ihrem Schauspiel oft nur an der Oberfläche kratzen und nicht aus sich heraus spielen. „Sweeney Todd“ ist eines der Musicals, das in erster Linie gute Schauspieler braucht, um seine Genialität zu entfalten; natürlich mit der Voraussetzung Sondheims komplexe Partitur auch singen zu können. Zugegeben, die Volksoper macht in dieser Besetzungsriege nicht viele Fehler, aber die wenigen sind fatal. Anita Götz als Johanna und Alexander Pinderak als Anthony Hope sind ihren Rollen nicht gewachsen. Sie wirken alt, langweilig, oberflächlich. Götz‘ Johanna ist eine blonde Tussi, die nicht viel im Hirn hat und an deren Schicksal und Zukunft ich als Zuschauer kein Interesse hatte. Sie war mir egal. Ebenso Anthony Hope. Pinderaks „Johanna“ ist ganz gut gesungen, aber leider ist da nicht viel dahinter. Gerne denke ich an Stefan Bischoffs Solo am Stadttheater Klagenfurt zurück oder auch an die West End-Inszenierung bei der Luke Brady die Herzen des Publikums angerührt hat. Götz und Pinderaks Rollengestaltungen bleiben jedoch so an der Oberfläche, das sie nicht ergreifen. Sie erreichen mich nicht und dadurch geht viel verloren. Es sind ja nicht irgendwelche Nebenrollen, im Gegenteil. Doch auch Patricia Nessy, die vom Musical kommt, enttäuscht als Bettlerin. Auch hier springt nichts über, zu einstudiert klingen die wirren Rufe und schnellen Stimmungsschwankungen. Morten Frank Larsen – auch er von der Oper – spielt Sweeney Todd annehmend und ist der Rolle durchaus gewachsen. Hier stellt sich jedoch eine andere Frage, die aber wahrscheinlich auf die Regie zurückzuführen ist – Todd entwickelt sich nicht. Gerade die Kurve, die der Protagonist in diesem Stück zu spielen hat, ist das Spannende. Verbittert kommt Todd aus seiner Verbannung zurück nach London und langsam beginnt hier der Racheplan zu entstehen, bis er dann in einem überbordenden, unkontrollierten Akt endet. Doch es ist eine Entwicklung, ein innerer Kampf, den Todd hier durchmacht. Larsen beginnt jedoch bereits mit einer sehr offenen Wut, was zur Folge hat, dass die Entwicklung keinen Platz mehr hat, weil deren „Ziel“ schon viel zu Nahe ist. Trotzdem macht er seine Sache größtenteils gut.

Dagmar Hellberg und Tom Schimon sind die eigentlichen Highlights. Auch Robert Meyer überzeugt als Richter Turpin – er kommt vom Schauspiel und das ist sein großer Vorteil. Schimon spielt und singt Tobias so wie es sein soll und Hellberg liegt die Mrs. Lovett sowieso. Es ist schon fast ihre Paraderolle und der Anker dieser Inszenierung. Sie definiert Musical bzw. Musiktheater eben als „Schauspiel, bei dem man ‚zufällig‘ singt“ (Musicals. Das Muscialmagazin. August/September 2013, S. 45). Das ist der entscheidende Unterschied.
Die österreichische Presse überschlägt sich fast mit Lobeshymnen – selten wenn es ums Musical geht. Ja, es ist ein tolles Stück. Von vorne bis hinten. Die „Sweeney Todd“-Inszenierung an der Volksoper bleibt doch hinter meinen Erwartungen zurück – gerade weil einige Charaktere so viel mehr hergeben würden, als hier gezeigt. Es ist schade zuzusehen, wie wichtige Teile des Stücks verloren gehen, weil die Schauspielleistung einfach nicht ausreicht oder gar vollkommen fehlt. Pluspunkte für den Spezialeffekt „Blut-aus-Kehlen-spritzen“, das Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau und das grandiose Orchester der Volksoper unter der Leitung von Joseph R. Olefirowicz gibt es aber auch.

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