Mittwoch, 30. September 2015

Premiere: Marry Me a Little - Theater Drachengasse // vienna theatre project

Der Funke von „Marry Me a Little“ ist zu mir nicht übergesprungen. Es hat mir für das, was es ist, zu wenig Tiefgang und um pure Unterhaltung zu sein, ist es mir zu wenig unterhaltsam. Es könnte doch aber mehr sein, die Ausgangsidee ist ja eine sehr reizvolle, eine, aus der man etwas Herausholen hätte können. Das vienna theatre project hat sich genau das zum Ziel gesetzt und möchte die Geschichte etwas weiterschreiben. Was passiert, wenn man versetzt wird und sich an einem Samstag Abend mit einem selbst auseinandersetzen muss, während man über Verflossene, neue Lieben, Erwartungen, Sehnsüchte und Beziehung nachdenkt? Eine interessante Frage. Eine Frage, die viel dramatisches Potenzial hätte, doch reichen mir Stephen Sondheims Songs da nicht aus.

Joanna Godwin-Seidl hat eine gute Inszenierung abgeliefert, aber auch sie kann für mich den Funken nicht zum Überspringen bewegen. In manchen Momenten beginnt es zu knistern, aber dann verliert sich das Stück wieder.  Ich liebe das vienna theatre project sehr – so muss Theater gemacht werden. Doch leider ist diese Produktion nicht so mitreißend, wie es schon so viele andere zuvor waren. Die Stückauswahl hat mich überrascht und auch wenn es sich um eine gute Inszenierung handelt, so scheitert sie am Stück selbst, das aus meiner Sicht einfach nur als „passabel“ zu bezeichnen ist.

Der Star des Abends ist das Bühnenbild. Richard Panzenböck hat dabei tolle Arbeit geleistet. Es ist so fantasievoll wie funktional und lässt viel Spielraum für die Regie. Godwin-Seidl nützt es für liebevolle Details und Twists, lässt Momente aus dem Bühnenbild entstehen, die mehr Tiefgang haben als sonst etwas. Die Farben Blau und Gelb stehen für „He“ und „She“ und lassen somit Verbindungen und Trennungen entstehen, verschmelzen und bilden Kontraste – eine wunderschöne Spielerei für das Auge und das Herz. Die blauen Blumen in der gelben Vase, das vergangene Märchen auf dem gelben Zettel zwischen blauen Pokalen,...

Jacqueline Braun und Tim Hüning sind SIE und ER, die alleine und manchmal doch irgendwie zusammen über die Liebe sinnieren. Beide bringen viel Charme in die Rollen, vor allem Braun bezieht mich als Zuschauer schnell in das Geschehen mit ein. Schwerelos spielt und singt sie mit viel Gefühl. Hüning gewinnt durch seine Ausstrahlung, doch kann er stimmlich nicht so ganz mithalten. Singt er in die entgegengesetzte Richtung versteht man leider kein einziges Wort und gerade das wäre so wichtig bei Sondheim. Im Theater Drachengasse muss nicht verstärkt werden und ich mag das – es fühlt sich direkter und purer an. In diesem Fall jedoch stellt die fehlende Verständlichkeit ein Hindernis dar, denn der Zuschauer muss sich anstrengen, um etwas von dem Gesungenen mitzubekommen. Schade. Jacqueline Braun tut sich mit ihrem kräftigen Organ einfacher. Ihre Leichtigkeit ist bemerkenswert.


„Marry Me a Little“ ist nicht ganz „my cup of tea“, aber dennoch ist der Abend kurzweilig und schon alleine deshalb einen Besuch wert, um das vienna theatre project zu unterstützen und den idealen Einsatz eines äußerst gelungenen Bühnenbildes zu bewundern.


"Marry Me a Little" läuft bis 10. Oktober 2015 im Theater Drachengasse.

Weitere Informationen und Karten gibt es hier:

Montag, 14. September 2015

Mozart! - Ein Preview-Review.

Verpönt hin oder her. Eine Preview zu rezensieren wird nicht gerne gesehen, aber warum eigentlich? Ich habe eine Vorstellung gesehen, ich weiß, dass noch daran gearbeitet wird (hoffentlich), ich tue meine Meinung kund, denn

Erstens: hab ich für diese Vorstellung bezahlt.
Zweitens: ist Feedback laut Intendanz erwünscht.
Drittens: ist hier Platz dafür.
Viertens: will ich etwas loswerden und
Fünftens: muss es ja keiner lesen.

Mozart!“ ist also „back in town“. Grundsätzlich ist diese Entscheidung der Vereinigten Bühnen eine, die in mir einen Zwiespalt erzeugt. Wieder eine Produktion, die nach einigen Jahren und Welterfolg „heimkehrt“. In einer „neuen Fassung“. Gut, also wenn ich jetzt in mich gehe, dann gibt es da mehrere Wortmeldungen: Wenigstens nicht wieder etwas Eingekauftes und eins-zu-eins Nachproduziertes. Wenigstens eine Eigenproduktion. Warum wieder etwas „aufwärmen“, wo ist das Neue? Von mir aus die Hits an den großen Häusern, wenn wenigstens irgendwo irgendetwas Kreatives, Kleines, Experimentelles, Neues ausprobiert würde – auf der Probebühne zum Beispiel. Warum geht das nicht? Warum sehen sich die VBW nicht dafür verantwortlich das Genre aufzuwerten und seine Vielfalt zu präsentieren?
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass ich mich mit dem „Wenigstens“ begnügen muss, um mich selbst bei Laune zu halten und nicht einer Musical-Depression zu verfallen.
Aber dieses „Wenigstens“ scheitert leider auch. Es scheitert an dieser „Neufassung“ von Mozart!, die ich nur als eigenständiges Gebilde kritisieren kann, da ich die Uraufführungs-Version damals nicht gesehen habe.

Gestern also – und es sei noch einmal dazu gesagt, dass es sich um eine Preview handelt – habe ich Mozart! zum ersten Mal nach der konzertanten Aufführung 2006 gesehen. Levay und Kunze haben hier ein Musical geschrieben, das dramatisch und psychologisch interessant ist, das Mozart als Mensch zeigt, mit Fehlern und Genius, Kindlichkeit und Hitzköpfigkeit und dem Zwiespalt des Künstler-Daseins. Genial. Die Umsetzung von Harry Kupfer ist jedoch enttäuschend. Wenn ein Regisseur einen Stil hat ist das nicht verwerflich, doch wenn er sich selbst kopiert schon. Und das tut Kupfer. Mozart! ähnelt der neuen Fassung von „Elisabeth“ gar sehr. Bühnenbild-Projektionen, Choreographie von Dennis Callahan...irgendwie unkreativ, weil zu ähnlich. Unabhängig davon sind die Projektionen gelungen – nein, das widerspricht sich nicht. Es sind nur viel zu viele. Das Publikum braucht keinen ständigen Wechsel, es hat Vorstellungskraft, die es benützen möchte. Ich brauche kein extra Bild für „Irgendwo wir immer getanzt“, ich kann mir den Saustall vorstellen. Der schnelle und unnötige Wechsel ist hektisch und hilft auch nicht darüber hinweg, dass die Szenen nicht nahtlos ineinander übergehen. Der erste Akt wirkt noch wie eine holprige Aneinanderreihung von Szenen, die Übergänge sind wenig „smooth“ und die Handlung kommt dadurch kaum in Schwung. Die Zeit vergeht nicht und mein Interesse schrumpft. Und die Darsteller sind gefangen in dieser Falle, sie spielen dagegen an, doch was bleibt ist ihre Einzelleistung und weniger die Geschichte und das „zwischenmenschliche“, gemeinsame Spielen.
Das ist sehr schade, denn Oedo Kuipers ist ein wunderbarer Mozart. Er spielt mit ganzer Seele. Sein Einsatz ist unglaublich und zeigt die innere Zerrissenheit und den Drang des Genies, die Unermüdlichkeit des Künstlers. Bis ins Blut geht diese Performance. Thomas Borchert macht sein Ding. Er ist – wie immer – unerschütterlich und souverän. Barbara Obermeier ist eine herzerwärmende Nannerl – „Der Prinz ist fort“, eine Nummer, die ich eigentlich nicht leiden kann, gelingt ihr sehr gefühlvoll und wird zu einer Szene, die das Stück zu diesem Zeitpunkt so dringend braucht. Auch Franziska Schuster als Constanze spielt ihren Part sehr würdig und glaubhaft.
Mark Seibert lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, egal ob von Orchester (viel zu laut, es wirkt so angestrengt) oder Regie (wie lächerlich ist die Kutschenfahrt-Szene), er macht sein Ding und liefert. Johannes Glück als Schikaneder beglückt mit wohltuendem Wienerisch im Ohr, allerdings sind seine Auftritte immer schlecht getimt. Jon Geoffrey Goldsworthy als Graf Arco ist eigentlich ein guter Typ, doch ich habe kaum etwas verstanden.
Ana Milva Gomes – schön. Einfach nur schön. Und da ist auch die Regie zu loben (ebenso wie beim Einsatz der Stühle - das funktioniert bestens!), die Bühne für ihre Szenen in Blau zu färben ist eine gute Idee und die Baronin hält somit wenigstens einige der Szenen gut zusammen. Gomes ist ideal besetzt – auch wenn ich zugegeben etwas skeptisch war.

Es ist noch einiges zu überdenken, wie ich meine, und es wird noch gearbeitet. Eine gute Woche ist noch Zeit, um ein bisschen mehr Liebe und Geschmeidigkeit hineinzubringen. Einige Szenen müssen fließender werden, andere würde ich komplett überdenken.
Die Kutschenfahrt von Arco und Colloredo – soll das lustig sein? Kommt nicht rüber. Sind zwei Liebesduette in so kurzem Abstand wirklich notwendig, auch wenn beide gelungen und nett sind (die Ringelspielfahrt ist eine tolle Idee). Mir ist der „Rote Rock“ abgegangen und „Jeder Abschied ist der Anfang einer Reise“, die beiden Songs erzählen etwas, im Gegensatz dazu hätte ich lieber die Prater-Szene gekürzt. „Ich bin extraordinär“ finde ich schlecht. Die E-Gitarre mag eine gute Idee sein, wirkt jedoch im Moment so nicht. Die Weber’schen präsentieren sich äußerst nervend, was ja so sein soll, mich nervt aber vor allem das Hippie-Mobil. Man kann es auch wirklich übertreiben. Das ist „the easy way out“ wenn es um Kreativität geht. 

Die konzertante Aufführung 2006 hat überzeugt, auf allen Ebenen, denn sie hat sich auf das Wesentliche konzentriert und dabei die Charaktere und die Geschichte(n) wunderbar herausgearbeitet. Das Publikum wurde durch nichts abgelenkt, sondern die Musik und die Darsteller haben etwas Geschaffen, das lang in Erinnerung blieb. Etwas mehr von diesem „Wesentlichen“, „Menschlichen“ geht dieser Neufassung noch ab.

Ich werde es mir sicher noch einmal ansehen, schon alleine wegen Kuipers. Jetzt warte ich jedenfalls ein paar Monate und hoffe, dass sich die Produktion etwas mehr einspielt. Wer weiß, wie sie dann wirkt und ich bin gerne bereit das ein oder andere zu revidieren.


P.S.: Paradox ist auch, dass das Publikum beim Schlussapplaus zu "Hier in Wien - wo man vor einem Messerstich in deinen Rücken die Hände dir küsst - mitklatschen darf. 








Samstag, 27. Juni 2015

Bachelor-Show 2015 - Musikalisches Unterhaltungstheater - Konservatorium Wien

Schreiben oder nicht Schreiben? Das ist die Frage, die ich mir in Bezug auf diesen Blog nun ab und an stelle. Hier tut sich nicht viel seit einigen Monaten, es muss ja auch nicht. Hier, und das war mir von Anfang an klar, schreibe ich, wenn ich Lust dazu habe. Lust zum Reflektieren über Gesehenes, Erlebtes. Lust, dieses Reflektierte nach Außen zu bringen, denn erst im geschriebenen Wort wird mir es oft erst möglich meine Gedanken konkret zu fassen. Wenn es ein paar Leser gibt, umso Schöner.
Die Bachelor-Show des KONS ist eines meiner Highlights des Jahres. Ich liebe die Vielfalt des Genres, die hier präsentiert wird, die Individualität der Studenten, die hier zum Ausdruck kommen darf. 
Künstlerische Differenzen, Krankheit, Engagements - nicht alle waren diesen Juni bereit ihre Ausbildung abzuschließen. Eine magere Ausbeute also auf den ersten Blick, doch im Oktober darf dann hoffentlich auch der Rest ran. 
Die kürzeste Bachelor-Show aller Zeiten. Nichtsdestotrotz nicht weniger unterhaltsam.
Die Überraschung des Abends? Rafael Albert. Ich glaube sagen zu können, dass er die stärkste Entwicklung durchgemacht hat, die ich über die Jahre als Zuschauerin mitverfolgen konnte. Sein zusammengestelltes Programm „Failisabeth“ ist ein Potpourri der Vielfalt aufgehängt an einer cleveren Idee (Rafael Albert und Glenna Weber): Du spielst die Hauptrolle. Erste Szene, du auf der Bühne, doch kein Ensemble. Niemand da. Alleine. Kein Ausweg. Du kannst nicht fliehen. Du wirst auf dich selbst zurückgeworfen. Zeit der Reflexion. Zeit der schmerzlichen Auseinandersetzung mit dir selbst. In Rafael Alberts Fall ist es Luigi Lucheni der alleine bleibt. Und Rafael Albert in seiner Rolle und von der Rolle. Klug gewoben ist das Konzept seines Programms. Es zeigt alles, was ich mir von so einem Bachelor-Showblock erwarte. Humor, aber auch Ernsthaftigkeit. Wahrhaftigkeit im Spiel, Freude am Darstellen, vielfältige Songauswahl, ehrlich performt. Rafael Albert stellt sich der Herausforderung seines eigenen Ichs. Die Konfrontation ist von äußerem und innerem Druck, vor allem den Beruf des Musicaldarstellers betreffend, geprägt, geht aber auch darüber hinaus. Eine gelungene Leistung. Hut ab!

Die nächste auf dem Programm: Ruth Hausensteiner. Grundsätzlich eine gute Ausgangsidee. Psychiatrie bzw. psychologische Beratung eignet sich immer gut, um interessante Menschen-Geschichten zu erzählen.  Bei Hausensteiner wird es zu einer verzweifelten Suche nach der Liebe, wobei mir die Verzweiflung leider etwas zu kurz kommt. Das Potential hat sie, doch leider gestaltet sich ihr Showblock etwas eintönig. Zu wenig Variation für meinen Geschmack. Irgendwann, irgendwie möchte ich innerlich bewegt werden. Die Comedy-Ebene ist wichtig, klar, aber ich brauche Tiefgang, um die Person greifen zu können. Diese Tiefe kommt für mich nur einmal sehr kurz zum Vorschein – bei „Die Rinnsteinprinzessin“ zeigt Hausensteiner einen Ansatz, den ich bei diesem Lied oftmals vermisse. Der Zwiespalt eines hart-weichen Herzens, zwischen Sehnsucht und Verletzung, Hoffnung und Bitterkeit.
Schade, dass es davon nicht noch ein bisschen mehr zu spüren gab.
Zusätzlich stehlen ihr Nathanaele Koll und Florian Sebastian in zwei ihrer Nummern die Show. Koll als narzisstischer Prinz. Genial! Was bitte kann er nicht darstellen? Er füllt jede Rolle aus und spielt mit solcher Leidenschaft, dass man selbst kaum glaubt, was man da gerade sieht. Auf den Punkt.
Florian Sebastian – Dialekt ist sein Ding. Das kommt bei ihm so hundertprozentig rüber, dass mir das Herz aufgeht.
Bei Ruth Hausensteiner sprechen wir dennoch von einem sehr hohen Niveau. Ihr Programm hat sich da nur vielleicht etwas in den Weg gestellt.
Ein ähnliches Gefühl habe ich bei Niklas-Sven Kerck.
Sein Programm ist ebenfalls durch Monologe verbunden, etwas mehr Zusammenhang wäre aber vielleicht doch noch netter gewesen.
Auf der Bühne wirkt er sehr sympathisch, er ist ein ganz eigener Typ. Das ist sein großer Vorteil. Er verliert sich nicht auf der Bühne, sondern nutzt seine Individualität. Ich glaube trotzdem, dass noch etwas mehr drinnen gewesen wäre...

Tja, und dann kam Kimberly F. Reidl. Was für eine Bühnengewalt. Sie hat ihren Showblock sehr raffiniert für sich genutzt. Nach Sigmund Freud spaltet sie sich in drei Persönlichkeiten auf und lässt sie die Kons-Aufnahmeprüfung bestreiten. Lustig, selbst-reflexiv mit ernsten Untertönen. Für mich war es ziemlich perfekt. Erhard Pauer unterstützt mit Stimme aus dem Off das Programm und Kaj Louis Lucke als Audition-Assistenz trifft den Nagel noch auf den Kopf – seine kleinen Auftritte samt Outfit sind ein Erlebnis für sich. In einem letzten Vocal Medley wechselt Reidl zwischen ihren Persönlichkeiten so schnell hin und her, dass man sich bemühen muss mitzuhalten. Pure Unterhaltung. Abschließend noch die notwendige Zurschaustellung der tänzerischen Fähigkeiten – Reidl ist ein Triple-Threat, keine Frage. Zumindest zeigt sie das in diesem auf ihre Persönlichkeit zugeschnittenen Programm.


Das Opening aus Jason Robert Brown’s „Songs For A New World“ vereint die vier ein letztes Mal gemeinsam auf der Bühne. Ein gefühlvoller Abschluss, wenn auch nicht ganz so emotional wie manche Jahrgänge zuvor. Das lag aber höchstwahrscheinlich daran, dass sie eben nicht alle waren. Schon ein wenig schade, dass sich der vierte Jahrgang dieses Jahr nicht vereint präsentieren konnte.

Donnerstag, 7. Mai 2015

Premiere: In the Heights - In den Heights von New York. - KONS.theater

„In the Heights“ ins Deutsche zu Übersetzen ist wahrscheinlich eines der herausforderndsten Dinge, das man sich so antun kann.  Es ist ein Musical, das alle anderen hinter sich zurücklässt und ganz alleine da steht. Es gibt nichts Vergleichbares und seine einzige ernsthafte Konkurrenz  ist wahrscheinlich nur das derzeitige Hot-Ticket am (Off-)Broadway „Hamilton“, das ebenfalls aus der Feder von Lin-Manuel Miranda stammt.

„In the Heights“ am Broadway. Das war vor ein paar Jahren „talk of town“. Zugegeben stellte es anfangs für mich eine Herausforderung dar. Ich erlebte eine Kultur, die mir nicht nur fremd war, sondern deren „Sprache“ ich auch erst verstehen lernen musste. Es ist ein Musical, das einem entweder von Anfang an mitreißt, abstößt oder mit gemischten Gefühlen zurücklässt und sich erst nach und nach entfaltet. Ist die Welt der „Washington Heights“ einem fremd tut sich die Show erst nach und nach auf, erblüht aber dann in den schönsten Farben, um es mal „blumig“ zu formulieren. Letztes Jahr durfte ich es mir noch einmal – diesmal in Londoner Southwark Playhouse – zu Gemüte führen und seit dem hat es nun meine ganze Liebe. Die Größe des Theaters war perfekt und das Erlebnis durch die Arena-Bühne unvergesslich.

Und jetzt also die deutschsprachige Erstaufführung in Wien – am Kons. Latino-Rhythmen und österreichisch-deutsche Steife treffen aufeinander, kann das gutgehen? Ja. Es kann.
Laura Friedrich Tejero hat sich besagter Herausforderung gestellt und übersetzt. Was vielleicht anfangs ein Ding der Unmöglichkeit scheint funktioniert überraschend gut. Die Übersetzung kann sich sehen lassen. Lästig sind nur die wenigen Randbemerkungen mit aktuellen Referenzen (Conchita, Griechenland), mit denen krampfhaft versucht wird, ein paar Pointen mehr rauszuhauen. Die tun zwar weh, wenn ich ganz ehrlich bin, aber gut, es gibt natürlich Schlimmeres.
Die Übersetzerin, selbst Studentin des dritten Jahrgangs, gibt auch die Nina. Ihre Performance ist durchzogen, doch an den wichtigen Stellen ist sie sehr präsent. Sehr berührend ist die Szene, in der sie mit Usnavi alte Fotoalben durchblättert und sie sich gemeinsamen Erinnerungen hingeben.
Usnavi. Was für eine Rolle. Er trägt das Stück, manchmal aktiv, manchmal passiv, doch immer da. Nathanaele Koll-Valsassina habe ich schon länger im Auge. Der Kerl hat „es“ einfach. Zuletzt noch als komödiantischer „Sidekick“ im Metropol-Musical „Plötzlich Prinz“ – ein Highlight dieser seichten Blödelei – gefallen, bekommt er hier die Möglichkeit eine etwas andere Seite von sich zu zeigen. Charmant macht er das. Die Anstrengung der Rolle merkt man ihm nicht an, so locker gibt er den sympathischen Bodega-Besitzer. Sein Schauspiel überzeugt, wie immer. Eine Wohltat für das Zuschauer-Auge. Ebenso souverän ist Dorina Garuci als Vanessa. Feurig und ehrlich ist ihr Spiel – man schaut ihr gerne zu.

Lin-Manuel Miranda (Musik/Lyrics) und Quiara Alegría Hudes (Buch) haben in diesem Stück Menschen auf die Bühne gebracht. Auch wenn die Geschichte in einem uns fremden Milieu spielt, so ist die Essenz doch pure Menschlichkeit. Die Authentizität dieses Musicals ist seine größte Stärke, noch vor seiner musikalischen „Andersartigkeit“. Es ist ein Herzensstück. Eines, das vom Leben erzählt und das Charaktere facettenreich und „offen“ darstellt. „Offen“ in dem Sinn, dass es nicht an der Oberfläche kratzt und die Menschen so porträtiert, das man sie einerseits kennenlernt, doch andererseits das Gefühl zurückbleibt, das hinter ihnen noch so viel mehr steckt als man schon weiß. Emotionale Tiefe, die man hinter jedem gesungenen, gesprochenen, gerappten Wort spürt – vorausgesetzt die Performance stimmt. Bei Nicolas Huart ist das der Fall. Jantus Philaretou ist mal mehr, mal weniger präsent, aber wenn es darauf ankommt, ist er da und berührt als besorgter Vater sehr.
Die „heimlichen“ Stars der Produktion sind für mich Soffi Schweighofer und Daniel Tejeda. Viel mehr kann man aus diesen Rollen nicht herausholen. Die beiden haben ihre Charaktere bis zum letzten Winkel ausgefüllt und überzeugten mit einem wunderbar ehrlichen Spiel. Tejeda ist wie er ist. Mehr kann ich da eigentlich nicht sagen. Das muss man selbst erleben. Wie damals bei seiner Aufnahmeprüfung am Kons (übrigens auf youtube): Er macht sein Ding und zieht es bis zum Schluss durch. Stimmlich sehr stark und mit einer großen Portion Charme und Witz ist er ein wirkliches Highlight. Jede Pointe sitzt perfekt. Soffi Schweighofer meistert den spanischen Akzent mit Bravour. Sie ist die Einzige, die ihn hundertprozentig und bis zum Ende durchzieht und ihre Rolle damit zur Perfektion bringt. Da brennt ein Feuer tief in ihr drinnen und das spürt man während der ganzen Show.
Etwas schwieriger hat es Christoph Prinz als abuelo (im Original eigentlich eine abuela). Er hat gute Momente, doch so ganz gelingt die Herausforderung einen alten Mann zu spielen leider nicht. Es ist auch schwer.
Anna Burger hat zwar die Stimme und die nötige Attitude für ihre Rolle, doch wirkt letztere nicht authentisch genug. Zu oberflächlich gestaltet sie die Rolle der Daniela für meinen Geschmack. Ihre Assistentin Carla, gespielt von Juliette Khalil, stiehlt ihr da irgendwie die Show. Die Rolle ist zwar klein, aber die Herausforderung das „Dummchen“ zu spielen umso größer. Bei Parts wie diesem steht man meist vor dem Abgrund und muss die Balance ständig halten, um die Pointen auch „funktionstüchtig“ zu machen. Khalil kann das – ganz ohne Augenrollen.

Bis auf Simon Stockinger, der positiv heraussticht, erfüllt das Ensemble (aus dem 2. Jahrgang) seinen Zweck. Leider nicht mehr. Tanz-technisch steht das Kons aber mit dieser Produktion dem Performing Center nun endgültig um nichts nach. Im Gegenteil. „In the Heights“ zeigt die Studenten in einem neuen Licht und das ist schön zu sehen.
Die Choreografien von Althair Guadarrama und Rainer Wiesmüller sind gelungen und Mirandas Musik ertönt unter der Leitung von Michael Römer mit Schwung und Spielfreude. Timo Verses Bühnenbild unter dem Licht von Dulcinea Jan rundet die Produktion perfekt ab. Auch wenn hie und da noch Raum für Verbesserung bleibt, so hat
Regisseurin Alexandra Frankmann-Koepp für die kleine KONS.theater-Bühne viel Positives herausgeholt. „In the Heights – In den Heights von New York“ beweist, dass das Konservatorium immer für Überraschungen gut ist. Hingehen!


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