Unplugged ist mutig, aber riskant. Unplugged heißt Herausforderung für die Stimme in jeglicher Hinsicht. Heißt auch: irgendwie wettmachen was nicht da ist. Am Konservatorium hat man sich also für eine unübliche RENT-Unplugged-Version entschieden. Das hat Vorteile und Nachteile. Harmonien kommen stärker hervor, andererseits hört man auch jeden falschen Ton. Manche Songs können sich besser entfalten, bei anderen fehlt einfach etwas. Bei manchen Songs erkennt man neue Qualitäten („Your Eyes“, „Without You“), andere wiederum zerbrechen in Einzelteile („Out Tonight“, „Take Me Or Leave Me“). Alles in allem geht einem der geniale Score von Jonathan Larson einfach ab. Auch wenn Musikalischer Leiter Peter Uwira sein Bestes gibt und kräftig in die Tasten haut.
Lassen wir aber nun das Unplugged ein wenig beiseite...
RENT auf Deutsch ist wie als würde man sich ritzen. Ich finde im Moment keinen besseren Vergleich – man sehe darüber hinweg. So grauenvoll ist selten eine Übersetzung, außer vielleicht Sondheim-Übertragungs-Versuche (Larsons großes Vorbild). Wenn „Rent“ plötzlich zu „Geld“ wird, „fucking weird“ zu „scheiße ätzend“ und „durch“ sich auf „Lurch“ reimen muss – ein Ritz folgt dem nächsten. Irgendwann muss man für sich die Entscheidung treffen, ob man jetzt stirbt oder die Wunden verbindet, indem man sich den deutschen Text wegdenkt, sich den englischen vorstellt und einfach nur auf Stimme, Gefühl und Ausdruck achtet. Hat man sich dann soweit im Griff funktioniert es ganz gut.
RENT am Kons ist eine sehr emotionale Produktion. Sicher auch teilweise aufgrund der Unplugged-Performance, da noch Unmittelbarer. RENT ist ein Ensemble-Musical, das u.a. dadurch so eine tolle Wirkung hat, weil so unterschiedliche Charaktere zusammenkommen, die Freundschaft und Liebe verbindet. Sie gehen gemeinsam durch die schweren und schönen Zeiten des Lebens. Dieser Zusammenhalt, diese Chemie fordert Präzision und vor allem viel Gefühl. RENT zu spielen ist eine Herausforderung auch oder vor allem in dieser Hinsicht. Die Protagonisten, bis hin zur kleinsten Ensemblerolle, geben unwahrscheinlich viel her. Es sind Menschen – unerschöpflich und tief. Mit vielen Möglichkeiten.
Die Produktion im Konservatorium featured den 3. Jahrgang in den Hauptrollen und den 2. in den Ensemblerollen. Hier muss man zwar besetzen, wer zur Verfügung steht, aber man hat ein Grundensemble von äußerst talentierten Studenten, da liegt es dann daran, was man daraus macht. Regisseur und Kons-Dozent Wolfgang Groller hat etwas Sehenswertes daraus gemacht.
Dieter Hörmann als Mark ist Sympathieträger. Er spielt von Anfang bis Ende unglaublich authentisch. Er trägt das Stück durch seine ehrliche Performance. Steht er plötzlich direkt im Publikum, braucht man ihm nur in die Augen zu sehen. Da sieht man alles, jede Emotion.
Am meisten beeindruckt hat mich Manuel Walcherberger als Tom Collins. In einer Szene, kurz nach Angels Tod, spricht er ein paar Sekunden kein einziges Wort, aber der ganze Saal spürt seine Gefühle. Sie liegen in der Luft und sind zum Greifen nahe. Gänsehaut. Das ist Hingabe an die Rolle, die einen nur staunend zurücklässt. Da kommt alles von Innen – mehr braucht es nicht. So auch bei „I’ll cover you“ mit Angel Manuel Heuser. Zwischen den beiden entstehen wunderbare Momente. Da kann man Liebe spüren. Hut ab vor den beiden!
Johannes Nepomuks Darstellung des Roger Davis ist durchzogen, doch insgesamt sehr gut. Manchmal ist er etwas zu „außen“, anstatt die Gefühle – die Performance – von Innen kommen zu lassen. Mit etwas mehr Vertrauen dazu und zu sich, hätte noch viel mehr „entstehen“ können. Bei seinem „Your Eyes“ für Mimi sieht man was möglich gewesen wäre, hätte er sich mehr darauf besinnt. Anfangs hätte Roger vielleicht auch etwas mehr „edge“ vertragen – aber gut, das ist Rolleninterpretation.
Die Rolle der „Mimi“ steht Salka Weber gut. Allerdings bekommt sie die Nachteile des Unplugged am meisten ab. „Out Tonight“ klingt langweilig und abgehackt, da kann sie spielen und singen wie sie möchte. Es fehlt einfach der Drive. "Without You" klingt hingegen schön "zerbrechlich" und sehr gefühlvoll.
Auch mit „Take Me Or Leave Me – unplugged” geht eine großartige Nummer verloren. Hier kann man sich die Seele aus dem Leib singen, es wird einfach nicht viel daraus. Da braucht es Verstärkung. Zwar ist es ein Geschrei, das sich Maureen und Joanne in dieser Szene liefern sollen, aber nicht so. Die Stimme leidet und es klingt einfach nicht mehr. Tanja Petrasek als Joanne und Alixa Kalaß als Maureen können dieses „Hoppala“ aber in allen anderen Szenen wettmachen. Vor allem Kalaß gelingt mit Maureens Performance - „Over the Moon“ – ein Highlight. Sie hat tolle Bühnenpräsenz und gibt alles. Wie leicht kann diese Nummer danebengehen, aber man kann auch den Nagel genau auf den Kopf treffen, wie Alixa Kalaß das macht. Großes Kompliment.
Dann wäre da noch Steven Klopp als Benny mit ausgezeichneter Rhythmik und tollem Timing. Auch das restliche Ensemble gibt in diversen kleineren Rollen alles. Hier stechen vor allem Judith von Orelli als Mrs. Cohen, Lawrence Karla als „Wiener“ Obdachloser und Karolin Konert als Alexi Darling heraus.
RENT am Konservatorium ist äußerst sehenswert, auch wenn man anfangs ein bisschen Zeit braucht, um sich an das „Unplugged“ zu gewöhnen - über die "Sprachbarriere" sei mal hinweggesehen. Es ist eine gute Produktion. Eine sehr emotionsgeladene Show mit Höhen und Tiefen, aber einem großartigen Ensemble, das alles gibt.
Erwähnenswert sind auch das Lichtdesign (Barbara Dulcinea Jan) und das gelungene Bühnenbild mit Graffitis von Alixa Kalaß…und…ähm….ja…fuck se Energiesparlampe :)
Zwar sind die Vorstellungen bereits ausverkauft - will man RENT unplugged aber noch sehen (ja, man will!), dann gibt es immer noch die Möglichkeit sein Glück an der Abendkassa zu versuchen...
RENT unplugged noch bis zum 2. Februar 2012 im Leonie-Rysanek-Saal - Konservatorium Wien Privatuniversität, jeweils 19:30.
Links:
- RENT unplugged auf Facebook
- KONSICAL - Musikalisches Unterhaltungstheater am Kons Wien
- Konservatorium Wien Privatuniversität
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