Lassen wir die Diskussionen über die „Rückkehr“ von
Elisabeth nach Wien (war’s überhaupt weg?) und über die „Übernahme“ der
Tour-Cast einmal außer Acht; versuchen wir auch darüber hinwegzusehen, dass
in der gestrigen Vorpremiere irgendwie der Wurm drinnen war und widmen wir uns der
„Jubiläumsfassung“ von Elisabeth einmal ohne dem allen – probieren wir es
zumindest.
„Elisabeth 2012“ fühlt sich an, als hätte man versucht eine
alte Silberschale zu polieren, um aber dann nach all dem Putzen und Wischen festzustellen,
dass einem die Silberschale angelaufen doch besser gefallen hat. Der alte
Schleier, der sich über das Stück gelegt hatte, wurde nun entfernt und was zum
Vorschein kommt ist gewöhnungsbedürftig.
Die Vorpremiere beginnt und von Anfang an fühlt sich irgendetwas
nicht ganz richtig an, vielleicht musste ich mich auch erst einmal an die neue
Location gewöhnen, denn das Raimund Theater kam mir noch nie so klein vor. Das
Musical konnte und wollte sich nicht so recht entfalten, ob da allein die Größe
der Bühne ausschlaggebend war, ist sehr fraglich.
Der erste Akt wirkt wie eine Nummernrevue, die Songs und
Szenen erscheinen aneinandergereiht, aber nicht zusammenhängend. Warum aber? Man sitzt im Publikum und kann es
nicht ganz verstehen. Liegt es an Lucheni? Kurosch Abbasi spielt und sing gut,
aber ihm fehlt der Biss, das „Einnehmende“. Luigi Lucheni ist das
Verbindungsglied zum Publikum und man sollte ihn im selben Moment lieben und
hassen können und ihm immer folgen wollen. In dieser Rolle muss man bereit sein
zu outrieren was das Zeug hält, erst dann wird sie „griffig“. Doch gestern
wollte sich das partout nicht einstellen. Abbasi wurde ständig überschattet,
war nicht präsent, nicht stark genug. Vielleicht muss sich das erst einspielen
bzw. er sich erst einspielen. Wie es funktionieren würde, sieht man leider erst
im Schlussapplaus – zu spät.
Neben dem Gefühl hier einer Revue beizuwohnen entsteht auch
das Gefühl einer Parodie. Nehmen wir z.B. „Jedem gibt er das Seine“. Sei es nun
der Kardinal Erzbischof oder welcher Graf auch immer, sie alle sprechen ihre
Sätze mit Ironie und ohne jeglichen Ernst. Alles wirkt wie eine Karikatur. Die Choreografie
von Dennis Callahan ist aber Karikatur genug, mehr braucht es nicht. Es wirkt
als hätte man die ironische Kommentarfunktion von Lucheni abgezogen und sie in
unpassender Weise nach Belieben hineininszeniert. Gerade in dieser Szene wird
wenig transportiert, auch wenn Daniela Ziegler und Franziskus Hartenstein alles
in ihre Rollen legen.
Hartenstein ist ein sehr überzeugender Franz Joseph, der dem
Kaiser viele neue Schichten verleiht und der Rolle Leben einhaucht. Er versteht es stets Balance zu halten –
sei es nun zwischen Herrscher und verliebten Mann oder Sohn, Ehemann und Vater.
Eine grandiose Leistung für einen so
jungen Darsteller!
Auch Daniela Ziegler als Sophie überzeugt in ihren Szenen,
ebenso wie Carin Filipcic, die als Herzogin Ludovika und Frau Wolf, wie
gewohnt, souverän performt.
Den ersten schönen Moment findet das Musical in „Ich gehör
nur mir“, in einer wunderschönen Interpretation der Hauptdarstellerin Annemieke
van Dam. Hier kommt das Stück erstmals zu einem Halt und man kann für einen
Moment die Kuriositäten des Anfangs vergessen.
Van Dam spielt Elisabeth mit Hingabe - nuanciert, glaubwürdig
und mit viel Pathos. Eigentlich bildet Elisabeth mit Tod und Lucheni eine Art Triangel,
doch in der Jubiläumsfassung steht sie alleine da und lässt die beiden anderen
Gestalten hinter sich. Eine eigenartige Wendung, die durch die Darstellung von
Mark Seibert als Tod noch verstärkt wird. Er spielt einen majestätischen Tod,
einen erhabenen Tod mit pubertären Zügen, die ab und zu unerwartet ihren Weg
nach draußen finden. Aber obwohl Seibert wie ein geborener Verführer wirkt,
will sich die Anziehung zwischen ihm und Elisabeth den ganzen Theaterabend
einfach nicht einstellen. Auch Annemieke van Dam spielt diese Ebene kaum an - ihre Todessehnsucht kommt nicht immer klar heraus. Erst gegen Ende des Stückes
habe ich zu einer Neuinterpretation der Rolle des Todes gefunden, doch ob das
intendiert war? Eher unwahrscheinlich. Eigentlich ist es ja die Grundidee des Musicals, der Kaiserin
den Tod als Liebhaber gegenüberzustellen; hier aber bespielt der Tod eher seine
Liebe zum Töten als die Liebe zur Kaiserin. Elisabeth nimmt keine
Sonderstellung ein. Seine Eifersucht und Wut ergründen sich nur daraus,
dass er nicht bekommt, was er will. Dann das Paradoxon: Zwischen Rudolf und dem
Tod herrscht in „Die Schatten werden länger“ mehr erotische Spannung als
zwischen Elisabeth und ihrem sog. „Liebhaber“. Hier sprühen die Funken, die man
sich eigentlich woanders vorgestellt hat und die Luft elektrisiert sich, wie an
keiner anderen Stelle.
Nach der Pause nimmt das Stück dann generell an Fahrt auf und findet
seinen emotionalen Höhepunkt - man glaubt es kaum - in „Wenn ich dein Spiegel
wär‘“. Anton Zetterholm brilliert als Rudolf. Er kommt mit einer inneren Spannung
auf die Bühne, die Ihresgleichen sucht, und spielt seine Rolle mit jeder Faser
seines Ichs. Das ist Schauspiel. Durch seine wunderschöne Stimme transportiert
er jedes noch so kleine Gefühl und schafft es tief zu berühren.
Ich verzichte darauf auf die „Modernisierung“ mit all ihren
Änderungen näher einzugehen, da soll sich jeder seine eigene Meinung bilden. Zwar
trauere ich ein wenig um das Autodrom, doch ob die Todesengel nun schwarze
Haare haben oder nicht ist ziemlich egal. Die neuen Kostüme (Yan Tax) gefallen,
sie wirken frisch und lebendig. Bei den Projektionen hat man sich hie und da vielleicht
ein wenig zu viel einfallen lassen, einiges wirkt einfach nur aus dem Prinzip „modernisiert“,
dem Publikum etwas Neues zu bieten. Ein
Eismeer bei Rudolfs Selbstmord in Mayerling ist – auch wenn es seiner
Gefühlslage entspricht – doch etwas kurios. Die „größte“ Änderung ist
vielleicht die Integration von „Kein Kommen ohne Gehen“ nach Sisis Sturz in
Possenhofen. Ein schöner Song, der dem Tod die Chance gibt etwas „menschlicher“
zu wirken und auch diese Seite auszuspielen – leider war hier aber die Luft
draußen und weder Lied noch Stimmung hatten Raum sich zu entfalten, zumindest
gestern.
„Elisabeth“ ist trotzdem immer noch ein wirklich gutes Musical,
das vor allem durch die tolle Musik von Sylvester Levay besticht. Jetzt darf
man gespannt sein, was die Kritiker dazu sagen, wie sich die Inszenierung (Regie: Harry Kupfer) in
den nächsten Wochen weiterentwickelt und wie die Zweitbesetzungen in ihren
Rollen überzeugen. Besonders freue ich mich auf Riccardo Greco als Lucheni und
Dagmar Hellberg als Sophie, aber auch Oliver Arno und Rory Six als Tod könnten
interessant sein. - Elisabeth Vorpremiere auf Kultur-Channel
"Van Dam spielt Elisabeth mit Hingabe - nuanciert, glaubwürdig und mit viel Pathos"
AntwortenLöschen"Auch Annemieke van Dam spielt diese Ebene kaum an"
Ah ja.... Gerade die Todessehnsucht ist das für mich wichtige. Damit wird die Rolle erst wirklich glaubwürdig. Sie spielt das nicht an, wie kann sie dann das sein, was im ersten Zitat steht???
@Anonym:
AntwortenLöschenDu hast Recht, man könnte meinen, dass sich das widerspricht.
Trotzdem finde ich, dass van Dam auch die verzweifelte, unglückliche, sich-aus-dieser-Welt-sehnende Seite der Elisabeth bespielt - es ist vor allem die Sehnsucht nach ihrem "Liebhaber", die wenig herauskommt.